Interview mit den Ju-Jutsu-Trainern Sabine und Markus Beck

HS: Sabine, Markus, seit Jahren leitet Ihr das Ju-Jutsu-Training des Judo-Clubs Stegen. Wie seid Ihr zu dieser Sportart gekommen und was ist für Euch das Besondere, was macht für Euch die Faszination von Ju-Jutsu aus?

MB: Meinen ersten Kontakt zum Ju-Jutsu bekam ich 1989, als ich meine Ausbildung bei der Polizei begonnen habe. Hier war die Prüfung zum gelben Gürtel verpflichtend. Das Training hat mir so viel Spaß gemacht und wir waren eine wirklich nette Gruppe, weshalb ich mir auch nach der Ausbildung einen Verein gesucht und weiterhin trainiert habe. So konnte ich schließlich 1995 die Prüfung zum 1. Dan ablegen.

SB: Damals, im Jahr 1988, suchte ich einen Verein im Ort, wobei es nicht die klassische Gymnastik sein sollte. Ich fand den Judo-Club, in dem ich herzlich aufgenommen wurde und begann zunächst in der Abteilung Judo zu trainieren. Der heutige 1. Vorsitzende, Clemens Zanger, hat mir damals meine ersten Würfe beigebracht. Als dann in der Abteilung Ju-Jutsu ein Anfängerkurs angeboten wurde, habe ich dorthin gewechselt und bin diesem Sport bis heute treu geblieben.

Es sind mehrere Aspekte, die das Ju-Jutsu für uns besonders machen. Neben dem Kontakt zu den vielen netten Menschen im Verein und den regelmäßigen Aktivitäten auch außerhalb des Trainings, bietet es natürlich die Möglichkeit, sich selbst fit zu halten. Das Training ist ein wichtiger Ausgleich zum Berufsleben, wo die Bewegung oft zu kurz kommt.

Besonders spannend ist auch die Vielseitigkeit des Ju-Jutsu. Die einzelnen Bewegungsformen und Techniken lassen sich wie aus einem Lego-Baukasten zu den unterschiedlichsten Kombinationen zusammensetzen. So lässt sich eine unendliche Vielzahl von Technikabfolgen zusammenstellen. Auch nach fast 30 Jahren sehen wir immer wieder neue Techniken, Kombinationen, Möglichkeiten oder Trainingsformen.

Und ganz nebenbei hat das regelmäßige Training auch noch den Vorteil, dass man lernt, sich in Notsituationen, wenn sich eine Auseinandersetzung nicht mehr vermeiden lässt, zu verteidigen.

HS: Ju-Jutsu wurde aus verschiedenen Kampfsportarten als neues, waffenloses Selbstverteidigungssystem gebildet und heißt auch „Sanfte Kunst“. Was ist an diesem Selbstverteidigungsinstrumentarium „sanft“ und was daran ist „Kunst“?

SB/MB: Natürlich ist bei diesem Sport nicht alles sanft. Der Grundgedanke dabei war aber, dass viele Bewegungen / Techniken so ausgeführt wurden, dass die Kraft des Angreifers so aufgenommen / ausgenutzt wird, um sie gegen ihn selbst einzusetzen. Z.B. wird die Bewegungsenergie des Angriffs durch gezielte Bewegungen so aufgenommen oder abgeleitet, dass man daraus eine Hebel- oder Wurftechnik ansetzen kann. Dieses Prinzip wird ganz besonders im Aikido angewandt. Im Ju-Jutsu werden aber nicht nur sanfte Bewegungen ausgeführt. Schließlich ist es ja eine Selbstverteidigungssportart. Diese kommt natürlich nicht ohne Schläge, Stöße oder Tritte aus, welche dann auch nicht „sanft“ ausgeführt werden. In den vergangenen Jahrzehnten hat sich Ju-Jutsu immer weiter entwickelt und dem teilweise veränderten Angriffsverhalten angepasst.

Die „Kunst“ dabei ist, auf jeden Angriff und jede Gegenreaktion des Angreifers schnell eine geeignete und möglichst effiziente Abwehrtechnik zu finden und diese gezielt einzusetzen. Aufgrund der zuvor bereits erwähnten Vielseitigkeit, sowohl der Angriffs-, als auch der Verteidigungsmöglichkeiten ist das nicht einfach.

HS: Während andere Vereine einen massiven Rückgang der trainierenden Kinder und Jugendlichen verzeichnen, habt Ihr in Eurem Ju-Jutsu-Training einen konstanten Zulauf und stabile Gruppen, und das in allen Altersbereichen und sogar im Bereich der Nachwuchstrainer. Was ist Euer Erfolgs-Geheimnis?

SB/MB: Da gibt es eigentlich kein Erfolgsgeheimnis. Gegenüber anderen Sportarten hat Ju-Jutsu aber den Vorteil und zusätzlichen Nutzen, dass es sich um eine Selbstverteidigungssportart handelt. Viele Eltern haben das erkannt und möchten ihre Kinder dadurch im Alltag stärken. Hier könnte man jetzt ausführlich darüber diskutieren, ob und gegebenenfalls wie sich das subjektive Sicherheitsgefühl in der Gesellschaft verändert hat und ob dies Einfluss auf die Entscheidung der Eltern hat, ihr Kind in einen Selbstverteidigungsverein zu schicken. Das würde an dieser Stelle aber zu weit führen.

Unzweifelhaft ist jedoch, dass es von Vorteil ist, sich im Notfall wehren zu können. Zudem wird durch das regelmäßige Training und das daraus resultierende Gefühl, sich wehren zu können, das Selbstbewusstsein gestärkt, was schlussendlich auch zu einem anderen Auftreten der Kinder und Jugendlichen führt. Dies kann dann wiederum den Effekt haben, dass sie erst gar nicht Opfer einer Straftat werden. Untersuchungen haben gezeigt, dass selbstbewusst auftretende Personen seltener angegangen werden, da der Täter bei der Auswahl seiner Opfer unterbewusst durch das Verhalten / das Auftreten seines Gegenübers beeinflusst wird.

HS: Sportlehrer beklagen seit Jahren einen massiven Rückgang an turnerischen Grundkenntnissen bei Kindern wie Rolle vorwärts/rückwärts, Handstand/abrollen uvm. Teilt Ihr diese Wahrnehmung und wenn ja, wie geht Ihr damit um?

SB/MB: So traurig es ist, aber diese Entwicklung stellen wir seit einigen Jahren ebenfalls fest. Wir leiten seit über 25 Jahren das Kinder- und Jugendtraining und haben daher eine ausreichend lange Zeitspanne im Blick. Wir haben den Eindruck, dass es nicht nur im Hinblick auf die koordinativen Fähigkeiten, sondern auch im Bereich möglichen Übergewichts negative Entwicklungen gibt. Die Gründe hierfür sind ja bereits umfassend in den Medien thematisiert worden und sind bekannt. Da es sich beim Ju-Jutsu um eine Sportart mit hohen koordinativen Anforderungen handelt, ist hier natürlich sehr gut zu beobachten, dass viele Kinder zunehmend Schwierigkeiten haben, die teilweise komplexen Bewegungsabläufe nachzuvollziehen. Gerade deshalb ist es uns im Verein ein Anliegen, Kinder- und Jugendtraining anzubieten, um dieser Entwicklung im Rahmen unserer Möglichkeiten entgegenzuwirken.

Wie gehen wir damit um? Das ist eine gute Frage. Viele Möglichkeiten haben wir da natürlich nicht. Wir versuchen, das Training interessant zu gestalten und sie spielerisch an diesen Sport heranzuführen, damit die Kinder und Jugendlichen regelmäßig kommen. Außerdem versuchen wir, Spaß an der Bewegung zu vermitteln, damit sie sich auch außerhalb des Trainings mehr bewegen. Hier sind ganz besonders die Eltern gefragt, die ihre Kinder zur Bewegung animieren sollten. Dies funktioniert aber nur, wenn sie dies selbst vorleben und dadurch Vorbild sind.

HS: Der Verein bietet neben Ju-Jutsu auch Judo an – was genau ist, für Laien gesprochen – der Unterschied zwischen Ju-Jutsu und Judo? Und kann man sagen, für wen das eine oder andere eher geeignet ist?

SB/MB:  Der Unterschied ist relativ einfach erklärt. Judo ist mehr Wettkampfsport, weniger Selbstverteidigung. Es geht beim Judo darum, im Rahmen eines definierten Regelwerkes den Gegner zu greifen, zu werfen und schließlich am Boden festzuhalten bzw. zu fixieren.

Ju-Jutsu orientiert sich mehr am Selbstverteidigungsgedanken. Alle Elemente des Judo sind auch im Ju-Jutsu enthalten. Hinzu kommen aber alle Techniken, die zur Selbstverteidigung geeignet sind. So z.B. alle Arten und Formen von Schlag-, Stoß- und Tritttechniken, Nervendrucktechniken, Hebeltechniken, Verteidigung gegen Waffenangriffe wie beispielsweise Stock, Messer, Faustfeuerwaffe, Kette / beweglicher Gegenstand.

Wettkämpfe gibt es im Ju-Jutsu natürlich auch.

Welche der Sportarten für wen geeignet ist, kann man nicht pauschal sagen. Das kommt auf die individuellen Neigungen und Ziele an.

HS: Neben dem Ju-Jutsu-Training, das Ihr montags und donnerstags leitet, bietest Du, Sabine regelmäßig Gymnastikkurse, und Du, Markus regelmäßig Selbstverteidigungskurse an. Wer sind Eure Zielgruppen bzw. was die jeweiligen Schwerpunkte?

SB: Für den Fitnesskurs gibt es keine beschränkte Zielgruppe. Hier sind alle herzlich willkommen. Jugendliche bis Rentner, männlich und weiblich. Im Vordergrund steht dabei die Gesundheit durch Bewegung. Geschult und verbessert werden insbesondere die Koordination, Konzentration, Flexibilität sowie die Kondition. Ich versuche natürlich, das Training anstrengend zu gestalten, da der Fitnessgrad der einzelnen Teilnehmer sehr unterschiedlich sein kann. Teilnehmer mit Fitnessdefiziten können die Trainingsintensität aber individuell auf ihren Stand anpassen bzw. reduzieren. Es kann also grundsätzlich jeder mitmachen. Dabei könnte ich jetzt natürlich augenzwinkernd auf die Antwort der vorletzten Frage hinweisen, bei der wir bezüglich der mangelnden Bewegung der Kinder auf die Vorbildfunktion der Eltern hingewiesen hatten.

MB: Bei den Selbstverteidigungskursen habe ich natürlich eine bestimmte Zielgruppe im Blick, nämlich vorwiegend Mädchen und Frauen. Ich möchte das aber noch etwas ergänzen bzw. erklären. Die Kurse schreibe ich bewusst nicht nur als Selbstverteidigungskurs aus. Vielmehr ist es ein Selbstbehauptungs- und Selbstvereidigungskurs, wobei die Selbstbehauptung einen hohen Stellenwert hat. Die Selbstverteidigung kommt schlussendlich nur zum Einsatz, wenn ich einer solchen Konfliktsituation auf gar keinen Fall mehr ausweichen kann. Sinnvoller ist jedoch, durch Schärfung des Gefahrenbewusstseins, der Entwicklung von Handlungsstrategien im Vorfeld eines körperlichen Übergriffs, der Stärkung des Selbstbewusstseins, der Verbesserung des eigenen Auftretens und dem Aufzeigen von Vermeidungsmöglichkeiten einer körperlichen Auseinandersetzung aus dem Weg zu gehen. Keine Selbstverteidigung ohne Selbstbehauptung! Die eigentliche körperliche Auseinandersetzung ist dabei also nur ein Baustein, der in den Kursen aber nicht zu kurz kommt. Ergänzend dazu wird auch besprochen, was folgt, wenn es zu einem Übergriff kam. Wie verhalte ich mich als Geschädigte, worauf muss ich achten, wie geht es weiter und wo finde ich Unterstützung und Hilfsangebote.

HS: Während landauf landab der massive Schwund von ehrenamtlicher Tätigkeit in Sportvereinen konstatiert wird, seid Ihr beide seit vielen, vielen Jahren im Judo Club Stegen und sogar weit über das übliche Maß ehrenamtlich aktiv. Was treibt Euch zu diesem besonderen ehrenamtlichen Engagement an?

SB/MB: Neben der Leidenschaft zu diesem Sport möchten wir natürlich auch die bereits angeführten positiven Wirkungen, die das Trainieren von Selbstverteidigung auf uns hatte, anderen weitergeben. Insbesondere für Kinder und Jugendliche finden wir das wichtig. In den vergangenen 30 Jahren haben wir uns in diesem Bereich einen umfangreichen Erfahrungsschatz angesammelt. Es wäre doch schade, wenn wir den ungenutzt in den Schrank stellen würden, wo er dann verstaubt.
Außerdem macht die Arbeit als Trainer viel Spaß, und es ist schön zu beobachten, wie sich die Kinder und Jugendlichen über die Jahre entwickeln und erfolgreich sind.

Wie du in deiner Frage angedeutet hast, ist ein massiver Schwund im Bereich der ehrenamtlichen Tätigkeit festzustellen. Dem müssen wir leider zustimmen. Es wird immer schwieriger, Personen zu finden, die sich in der Vereinsarbeit engagieren. Die ganze Arbeit wird regelmäßig von einem sehr kleinen Kreis von Personen gemacht. Wir würden uns dabei mehr Unterstützung wünschen, auch gerne von interessierten Eltern. Auch wenn sie nicht selbst trainieren, könnten wir Unterstützung in der Vorstandsarbeit oder bei der Organisation und Durchführung von Veranstaltungen gut gebrauchen. Es muss ja nicht immer gleich die Übernahme eines Vorstandsamtes sein.

HS: Wenn Ihr einen Wunsch frei hättet für Eure Ju-Jutsu-Abteilung bzw. den JC Stegen an sich – welcher wäre das?

SB/MB: Spontan fällt uns da natürlich die Trainersituation ein. Hier sieht es ziemlich mager aus. In beiden Abteilungen. Als hauptamtliche Trainer, die regelmäßig das Training leiten, sind nur Jürgen (für Judo) und wir beide aktiv. Glücklicherweise werden wir mittlerweile von ein paar engagierten Hilfstrainern unterstützt. Ohne sie wäre die Betreuung von so vielen und großen Gruppen nicht mehr möglich. Wir hoffen, dass sie auch weiter bei diesem Sport bleiben und uns unterstützen.

HS: Vielen Dank für das Gespräch und Euren außerordentlichen Beitrag für das Gedeihen des Vereins und der Abteilung.